(...) Etwa zwei Drittel von ihnen sind lediglich geduldet, müssen also jederzeit mit einer Abschiebung rechnen. Arbeiten dürfen sie nicht, sie erhalten nur 70 Prozent des Sozialhilfesatzes und haben keinen Anspruch auf Kinder- und Erziehungsgeld. Doch nicht nur materiell ist ihr Leben schwierig: Roma sind bis heute immer wieder mit uralten Vorurteilen konfrontiert.
Wie lustig ist das Zigeunerleben?
,
fragt deshalb das zweitätige Filmfest im
Lichtmess, mit dem die Reihe heute beginnt.
Anschaulich macht die Frage dabei zunächst die
Schilderung der Geschichte der jungen Roma Iva.
Wovon sie geträumt hat, als sie mit ihrer
Familie vor Armut und Rassismus aus Jugoslawien
nach Deutschland geflohen ist, erzählt schon
der Titel des Films: Ich habe davon geträumt,
Friseuse zu werden.
Doch ihren bescheidenen
Traum kann die geflüchtete Friseurin hier nicht
verwirklichen. Stattdessen wird sie zum Objekt
deutscher Migrationsbürokratie, ihrer Familie
und ihr selbst droht die Abschiebung. Statt
Haare zu schneiden, wehrt sie sich nun gemeinsam
mit anderen Roma gegen die erzwungene Rückkehr.
Doch der Film beschreibt nicht nur den Kampf dagegen, sondern verdeutlicht auch, warum Iva und die anderen diesen Kampf aufnehmen. Denn was sie in Serbien erwartet, hat das Filmteam in Belgrad herausgefunden: eine national aufgeheizte Situation, die auch in alltäglichem Antiziganismus ihren Ausdruck findet. Die Mehrheitsbevölkerung wendet das nachwirkende Trauma des Nato-Bombenkrieges gegen Jugoslawien in Aggression gegen Minderheiten. Soziale Ausgrenzung ist für Roma Alltag; Gewalt, Vergewaltigung und sogar Mord sind an der Tagesordnung.
Als das Team nach Deutschland zurückkehrt, ist Iva in die Illegalität abgetaucht. Der Film zeigt, wie sie und ihre Familie mit dieser schwierigen Situation klarkommen. Eine Situation, in der sich viele der hier lebenden Roma wiederfinden. Als geduldete Flüchtlinge müssen sie jederzeit mit Abschiebung rechnen. Ein Zustand der Unsicherheit, in dem sie oft jahrelang leben müssen.
Die Regisseurin Lidija Mirkovic porträtiert auch andere Roma-Familien mit ihren Kindern in Deutschland – und sucht diese nach ihrer Abschiebung ins ehemalige Jugoslawien wieder auf. Deutlich wird dabei die Überforderung der Kinder, die sich nun – in Deutschland geboren und aufgewachsen – in einem völlig anderen Land wiederfinden. Ihre Träume und Pläne, ihre vertraute Umgebung und ihre Freundschaften wurden durch die Abschiebung gewaltsam zerstört. (...)
Gaston Kirsche, in: taz (tageszeitung), 2008-04-12
Roma in Deutschland und in Serbien erzählen in
ihrem alltäglichen Umfeld Geschichten, die sie
erlebt haben. Sie berichten über das, was ihnen
als Flüchtlinge und vorübergehend Ansässige
widerfahren ist. Sie erzählen von ihren
Hoffnungen, ihren Enttäuschungen, von Gewalt,
Diskriminierung, Armut und ihren
Lebensperspektiven. Kurz – sie erzählen
davon, wie es ist, als Zigeuner
zu leben.
Es beginnt mit der Schilderung eines Roms, der
auf dramatische Art mit einem Schiff die Adria
überquert, um mit anderen Flüchtlingen illegal
in Italien einzureisen. Bruchstückhaft
vernehmen wir auch Fluchterlebnisse weiterer
Roma. Warum die Flucht? Das zeigt der Mittelteil
des Films. Er handelt von der harten sozialen
Wirklichkeit der Zigeuner
in Serbien.
Gemeint sind aber auch alle anderen Staaten
Osteuropas. Sie steht im harten Widerspruch
zu den bestehenden Klischees. Diese sind durch
romantische und kitschige Vorstellungen
gekennzeichnet, die für die Wahrnehmung für das
authentische Leben der Zigeuner
keinen
Platz lassen. So versucht die Arbeit, ein weit
verbreitetes Bild über Zigeuner
zu
korrigieren. Tatsächlich sind Zigeuner
mit offiziellen 12 Millionen Angehörigen die
größte europäische Minderheit, die nun länger
als tausend Jahre auf diesem Kontinent lebt.
Schon beinahe ein klassischer Vertreter für
die Vorstellungen vom Zigeunerleben ist das
mittlerweile ikonografierte Bild von Merimées
Carmen. Für die Wahrnehmung von Zigeunern
ist es sehr bedeutend. Es zierte und ziert
schon seit Jahrzehnten ungezählte bürgerliche
Wohnzimmer. Die verschiedenen Carmens
in ICH HABE DAVON GETRÄUMT, FRISEUSE ZU WERDEN
haben weder eine selbstbestimmte Sexualität,
noch können sie ihren Lebensweg unabhängig
gestalten. Sie sind glücklich, wenn sie eine
gesicherte Mahlzeit bekommen. Bilder und
Wirklichkeit prallen in diesem Film schmerzhaft
aufeinander.
Markus Westphalen